Verfasst von Friederich Dold zum 125 jährigen Jubiläum im Jahr 2007.
1516 Fertigstellung der Balinger Stadtkirche.
Schon zu dieser Zeit war ein Collegium musicum tätig, das allsonntäglich im Gottesdienst musizierte. Daneben versahen Schulmeister und Schüler den kirchenmusikalischen Dienst.
um 1780: Das Collegium musicum besteht aus ca. 15 Personen aus dem Handwerkerstand. Leiter ist zunächst der Stadtzinkenist, später ein Lehrer.
um 1850: Niedergang der Kirchenmusik. Es wird nur noch an Festtagen musiziert; das Collegium musicum wird kleiner und löst sich allmählich auf.
1878 Eintrag ins Protokoll des Pfarrgemeinderats: „Die Einrichtung eines kirchlichen Gesangvereins soll in Angriff genommen werden.“ 1883 dann: „Der Kirchenchor, der jetzt zu singen begonnen hat...“.
Deshalb: 1882 ist als das Gründungsjahr des Evang. Kirchenchors Balingen anzunehmen.
1882-1886 Leiter: Oberlehrer Laißle. Er rekrutierte die Frauenstimmen hauptsächlich aus den Schülerinnen der Abschlussklassen. Männerstimmen: Mangelware!
1886-1894 Leiter: Oberlehrer Maier.
1894-1911 Leiter: Oberlehrer Gottlieb Friedrich Link. Berichte von ersten Konzertauftritten.
1910 Visitationsbericht: Kirchengesang sei frisch, kräftig, sicher dank dem guten Organisten und dem Kirchenchor (40 weibliche, 12 männliche Stimmen).
1912-1923 Leiter: Rektor Theodor Strecker. Erstmalig Programme von Aufführungen erhalten: Stücke aus Mendelssohns Elias, Teile aus Händels Messias.
1923 Hauptlehrer Hermann Rehm (1896-1959) übernimmt Chor und Organistendienst.
kirchenmusikalische Erneuerung, angestoßen durch die „Singbewegung“ jener Jahre. Die „neuen Lieder“ waren nun die der Reformation und des Frühbarock (Praetorius, Schütz, Schein etc.). Im Zentrum: J. S. Bach.
ab 1924: Geistliche Abendmusiken, Liturgische Gottesdienste, Aufführung von Bach- Kantaten. Tradition der Weihnachtsmusiken begründet, Oratorien von Händel und Haydn aufgeführt. Es gibt Singwochen und Singfreizeiten.
ab 1931: der Kirchenchor veranstaltet Kammermusikabende - Keimzelle der Balinger Kammerkonzerte.
1934 Tradition der Christmette am Hl. Abend reaktiviert. „Der Gölz“ (Chorgesangbuch mit Sätzen alter Meister) erscheint und wird zur „Bibel“ des Kirchenchors.
1936 Landeskirchenmusiktag in Balingen: Höhepunkt und Würdigung der Chor- Aufbauarbeit Hermann Rehms.
bis 1945: Chor schrumpft während der Nazi-Zeit und ihrer Repressalien von 100 auf ca. 30 Personen. Dann aber:
1945-1948 Blütezeit der Kirchen- und Kammermusik in Balingen. 1947 „Balinger Bach- Tage“: erstmals Johannespassion - landesweite Resonanz.
1953 Hermann Rehm übergibt krankheitshalber Chor und Organistenamt an seinen Sohn Gerhard Rehm (1926-2004). Bruchloser Übergang: er bewahrt das Wesentliche und Lebensfähige, ist aber immer offen für Neues.
Im Lauf der folgenden Jahrzehnte werden alle wichtigen Oratorien, Messen, Passionen, Kantaten und Motetten von Schütz bis Mendelssohn aufgeführt, vieles mehrfach.
Daneben spielt das Gesellige im Chor eine wichtige Rolle: alljährliche Familienabende, Ausflüge, Singfreizeiten.
Gelungene Wagnisse:
1955 Bach h-moll-Messe (Prof. Grischkat: „Gerhard, du bist verrückt!“)
1960 Bruckner f-moll-Messe („Herr Rehm, das packt Ihr Chor nicht!“)
ab 1966 Aufbau der Jugendarbeit zusammen mit Frau Rose Rehm: Singjungschar und Junge Kantorei.
1967 Neuer Name: Evangelische Kantorei Balingen - Kirchenchor und Oratorienchor zugleich, der zu einem der führenden Chöre im Südwesten wird und oft auch außerhalb Balingens konzertiert. Stabiler Stamm von ca. 80 Sängern, der große sozialintegrative Kraft beweist.
1970-1990: Bemühen um zeitgenössische geistliche Musik, z.B. Karl-Michael Komma Matthäuspassion (Schallplattenaufnahme!), Strawinsky Psalmensinfonie, Honegger König David.
Immer wieder Zusammenarbeit mit anderen Kantoreien (Ebingen, Rottweil, Tuttlingen, Nagold) oder mit einem ad hoc gebildeten Projektchor.
Das romantische Repertoire erhält stärkeres Gewicht: Mendelssohn, Brahms, Bruckner. Höhepunkt: Verdis Requiem 1987.
1982 Jubiläum „100 Jahre Kantorei“: Festwoche, Verleihung der Zelter-Plakette.
1991 Gerhard Rehm im Ruhestand, Nachfolger: Kay Johannsen (*1961), den die Kantorei aber bald an die Stuttgarter Stiftskirche „verliert“.
ab 1994: Wolfgang Ehni (*1962) folgt als Organist, Chorleiter und Bezirkskantor.
Pflege der barocken und klassisch-romantischen Kirchenmusik wird fortgeführt, das Chorrepertoire aber nach verschiedenen Stilrichtungen hin wesentlich erweitert: Dvorak Stabat mater, Arvo Pärt Johannespassion, Leonard Bernstein Chichester Psalms, Herzogenberg, Saint-Saens, Fauré, Rossini...
Auch die „Chorschule“ wird weitergeführt: Wichtelchor, Kinderchor, Junge Kantorei.